Tektonische Verschiebungen in der Indischen IT Industrie

IT Offshoring

Sebastian ZangGeschrieben von:

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Die Indische IT Industrie ist zweifelsohne eine Erfolgsgeschichte, die ihresgleichen sucht: Lag der Umsatz des Sektors im Jahr 2000 noch bei 8 Milliarden US-Dollar, so lag dieser im Jahr 2019 bereits bei 180 Milliarden US-Dollar (sic!). Das entspricht 6% des indischen BIP. Die Erfolgsstory von IT auf dem Indischen Subkontinent wird weitergehen, jedoch ändert die IT Industrie ihr Gesicht: Die Veränderungen reichen von neuen Wettbewerbern bis zu Veränderungen der Grundlagen des Geschäftsmodells für IT Outsourcing.

Viele der multinationalen Unternehmen der Welt behaupten, Technologieunternehmen zu sein. Tatsächlich hängen ihre zunehmend digitalisierten Operationen oft von einer Handvoll indischer Firmen ab. Nur wenige Menschen außerhalb ihres Heimatlandes haben von Infosys, Tata Consultancy Services (TCS), WIPRO, HCL Technologies oder TechMahindra gehört. Dabei handelt es sich um die fünf größten indischen Beratungsunternehmen für Informationstechnologie (IT).

Das Geschäftsmodell ist einfach erklärt: Die Unternehmenssoftware in den Bereichen Marketing, Produktion, Customer Relationship Management (CRM), Buchhaltung und Ähnlichem kommen von Oracle oder SAP. Jedoch sind es oft indische Unternehmen, die diese Software für ihre (Groß)Kunden installieren und warten. Sie machen die Hauptbuchführung oder führen die Risikokontrollen durch, die es den Finanzunternehmen ermöglichen, zu operieren. Sie bauen und betreiben Websites. Rajesh Gopinathan, der Vorstandsvorsitzende von TCS, bemerkte kürzlich, seine Firma helfe dabei, die großen Banken, Einzelhändler, Produktionsunternehmen und Telekommunikationsunternehmen zu managen. Damit hat er Recht.

Die Indische IT Industrie: Ein kurzer historischer Abriss

Die Indischen IT-Beratungsfirmen haben eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte in der indischen Volkswirtschaft geschafft. Sie erhielten spätestens internationale Aufmerksamkeit und Respekt, nachdem sie das Jahr-2000-Problem („Y2K“ Bug) behoben hatten, der zur Jahrtausendwende drohte, die Computersysteme der Welt zum Absturz zu bringen. Dadurch wurden große westliche Firmen auf sie aufmerksam, die erkannten, dass sie talentierte indische Programmierer zu einem Viertel des in ihren Heimatmärkten üblichen Satzes einstellen konnten. Einige westliche Firmen lagerten ihre gesamten IT-Abteilungen aus.

Das Ergebnis war ein spektakuläres Wachstum der indischen IT-Firmen. Die kombinierte Marktkapitalisierung der großen Fünf überstieg 200 Mrd. US-Dollar im Jahr 2019. Die größte, TCS, hat 285 Büros in 46 Ländern und so viele Mitarbeiter wie Microsoft, Apple, Alphabet und Facebook zusammen. Die Industrie, die um TCS und die anderen IT-Titanen herum gewachsen ist, umfasst 16 000 Unternehmen mit 4,4 Mio. Beschäftigten.

Die Indische IT Industrie: Umgang mit der Corona-Krise

Wie schon beim vorherigen Abschwung nach der Finanzkrise 2007-09 hat die durch das Coronavirus verursachte Rezession die Firmenkunden veranlasst, bei allen Arten von Ausgaben die Sparzwänge zu verschärfen. Da bildeten die IT-Ausgaben keine Ausnahme. Die Umsätze der großen Firmen wuchsen im letzten Quartal im Vorjahresvergleich kaum noch. Zum Vergleich: In den 1990er und 2000er Jahren sind die Umsätze jährlich um über 20% gestiegen.

Es kommt hinzu, dass einige Länder Barrieren für die Einreise und den Einsatz ausländischer Arbeitnehmer errichten. Amerika, ein wichtiger Markt, hat die Visa für qualifizierte Zeitarbeitskräfte ausgesetzt. Typischerweise gingen satte 70% dieser Visa an indische Arbeitnehmer.

Die Reaktion der Indischen Tech Firmen war schnell und effektiv. Da sie technologisch versiert sind, verlagerten sie ihre Mitarbeiter binnen kürzester Frist auf Heimarbeit. Innerhalb weniger Tage arbeiteten 95% oder mehr ihrer Mitarbeiter im „Remote Modus“. Das ist durchaus eine bemerkenswerte Leistung in einem Land mit lückenhaftem Breitbandanschluss und zahllosen bürokratischen Hindernissen für die Anpassung von Arbeitsprozessen. Die Auswirkungen der Tatsache, dass weniger Inder in den Auslandsbüros arbeiten, werden durch eine größere Akzeptanz von Videokonferenzen und langjährige Bemühungen um die direkte Anwerbung von Arbeitskräften in ihren ausländischen Märkten abgemildert; Infosys hat 17 500 Mitarbeiter in Europa und 22 200 in Amerika.

Die Indische IT Industrie: Neue Wettbewerber

Nun hat sich in den vergangenen Jahren das Wachstum für die heimische IT Industrie verlangsamt: Die Einnahmen der Branche stiegen 2019 um 6% – deutlich geringer als die 20% aus den 1990er und 2000er Jahren. Ein wesentlicher Grund: Das indische Modell wurde von globalen Beratungsfirmen wie Accenture, IBM, Deloitte und EY weitgehend übernommen. Diese westlichen Player betreiben riesige Einrichtungen in Indien.

Es kommt hinzu, dass die Kunden selbst stärker auf eigene IT Entwicklungszentren in Indien setzen. Ein Beispiel: Walmart Labs India ist Berichten zufolge auf Kurs, seine Belegschaft im Indischen Ableger in den nächsten ein bis zwei Jahren auf 7 000 Mitarbeiter zu verdoppeln. Es ist inzwischen eben deutlich einfacher, solche IT Entwicklungszentren selber zu betreiben. Früher waren dafür Armeen von Menschen erforderlich, so dass es sinnvoll war, die Kosten auf viele Kunden zu verteilen. Bei sinkenden Preisen für Hard- und Software und mehr Fachkräften in der Umgebung kann sich ein firmeneigenes Zentrum bereits ab 50 Mitarbeitern selbst tragen. Das sagt Peter Bendor Samuel von der Everest Group, einem Forschungsunternehmen.

Zum Status Quo dieser Entwicklung: Anfang diesen Jahres (also: 2020) gab es in Indien mehr als 1 400 solcher eigenen IT Entwicklungszentren großer westlicher Player (ca. 70% im Besitz großer amerikanischer Firmen) mit insgesamt mehr als 1 Mio. Beschäftigten. Zu dem Schluss kommt eine Analyse von Ken, einer indischen Nachrichtenwebsite.

Die Indische IT Industrie: Weiterentwicklung des Geschäftsmodells

Trotz ihres technischen Know-hows waren die indischen Riesen auch nicht in der Lage, mit dem technologischen Wandel Schritt zu halten. Unternehmenssoftware wird immer einfacher zu benutzen, was die Nachfrage nach ihren Dienstleistungen verringert. Das bisher lukrative Geschäft mit dem Betrieb von Großrechnern (IBM Mainframe, etc.) nimmt ab. Die Unterstützung von Kunden beim Umstieg auf die Cloud bringt Geld, aber nicht annähernd so viel wie dieses bisherige Geschäftsmodell. Zwar haben die Indischen IT Beratungshäuser einige interessante Pilotprojekte erfolgreich entwickelt; dazu zählt etwa Tech Mahindras Einsatz künstlicher Intelligenz zur Unterscheidung von 1.645 indischen Sprachen; dazu zählt auch Infosys’ Covid-19-Kontaktverfolgung auf Rhode Island. Aber es ist bislang nicht gelungen, ein Killer-App zu entwickeln – geschweige denn leistungsfähige Digitale Plattformen wie die großen US-amerikanischen Tech Unternehmen.

Dennoch gilt: Die indischen IT-Beratungsfirmen werden weiterhin gebraucht. Sie liefern noch immer Problemlösungen zu wettbewerbsfähigen Kosten. Diesen Monat unterzeichnete Infosys einen neuen Zehn-Jahres-Vertrag, den größten in seiner Geschichte: Es geht darum Vanguard, einen großen amerikanischen Vermögensverwalter, bei der Buchführung und dem Betrieb seiner Website zu helfen.

Zum Weiterlesen

„IT Offshoring nach Indien: Vorteile, Nachteile der verschiedenen Optionen”

„IT Offshoring und Nearshoring: 10 Tipps zur Minimierung von Fluktuation”

Dieser Artikel nutzt als primäre Quelle einen Artikel der Englischen Ausgabe von The Economist, July 25th 2020

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