Indien ist nach wie vor der beliebteste Standort für Offshoring von IT Dienstleistungen. Hauptgründe sind die hohe Anzahl an Absolventen sowie die niedrigen Löhne. Andererseits gilt auch, dass die Gehälter in der IT Industrie in den vergangenen Jahren stark gestiegen sind, in Boomjahren bis zu 30 Prozent. Wie lange kann also Indien noch den Status als Niedriglohnland im IT Sektor halten?
Bedeutung des Niedriglohns für Offshoring
Die Categis Gruppe (www.softwaretogo.de) ist IT Dienstleister, Partner des kostenbewussten Mittelstands bei der Digitalisierung von Geschäftsmodellen. Inzwischen zählt auch die Auftragsentwicklung für deutsche Softwareunternehmen zum Leistungsspektrum. Wir betreiben ein IT Entwicklungszentrum im Silicon Valley Indiens / Bangalore, da unsere Wettbewerbsfähigkeit maßgeblich von unserer Kostenposition abhängt. Das Monitoring der Gehaltsentwicklung in Indien ist darum für uns strategische Routine. In 2013 haben wir zu diesem Thema bereits einen vielbeachteten Artikel veröffentlicht (über 30.000 Leser). Mit diesem Artikel nehmen wir auf Basis aktueller Zahlen erneut Stellung zu der Frage nach den langfristigen Kostentendenzen in Indiens IT Industrie.
Bevor wir die Gehaltstrends in Indien betrachten, folgender Hinweis: Niedriglöhne sind keineswegs der einzige Treiber für Offshoring. In Industrieländern wie USA, Deutschland, UK können Softwarehäuser und IT Dienstleister bekanntermaßen den Bedarf an IT Experten nicht mehr decken. Zahllose Softwarehäuser finden auf dem lokalen Arbeitsmarkt keine Fachkräfte mehr und sind zum Outsourcing oder Offshoring gezwungen. In Einzelfällen können IT Häuser die Belegschaft auch für veraltete Technologien nicht mehr motivieren (z.B. COBOL oder Assembler), dies ist einfacher in einem Opportunitätsgetriebenen Land wie Indien.
Gehälter in Indien – Bestandsaufnahme
Einstiegsgehälter in Indiens IT Industrie zählen nach einer Erhebung der Personalberatung Tower Watson zu den niedrigsten in Asien. Das monatliche Gehalt von 400 Dollar (360 Euro) liegt deutlich unter dem Einstiegsgehalt in China (720 Dollar) oder Südkorea (2.300 Dollar). Nun gilt allerdings, dass die Ausbildung in Indien keineswegs das Niveau von Südkorea erreicht, die Produktivität eines indischen Universitätsabsolventen entspricht zu Beginn der Karriere nicht dem eines Absolventen aus Südkorea. Die Zahlen sind mithin zu relativieren.
Weit relevanter für die Bewertung Indiens als Niedriglohnstandort sind Gehälter von IT Ingenieuren mit mehr als 10 Jahren Erfahrung; in dieser Karrierestufe haben indische IT Ingenieure einen Wissenstand vergleichbar mit jenem von Entwicklern aus Deutschland oder den USA. Eine internationale Vergleichsstudie zeigt, dass Gehälter indischer Softwareentwickler in 2016 im Schnitt bei 36.700 Euro (41.200 Dollar) liegen – im Vergleich zu Deutschland (104.000 Euro) also mit klarem Preisvorteil. Auch gegenüber China (42.700 Dollar) besteht ein marginaler Preisvorteil. Niedriglohnländer wie Vietnam (31.000 Dollar) oder Bulgarien (25.700 Dollar) positionieren sich inzwischen allerdings günstiger als Indien.
Gehälter in Indien – Entwicklungstrends
Die Autoren Clas Neumann, ehemaliger Asien-Chef der SAP, und Manuell Vermeer prognostizieren im Praxishandbuch Indien (Auflage 2016): „Wir sehen im Arbeitsmarkt auch auf die nächsten Jahre hin einen sich verschärfenden Wettbewerb um gut qualifizierte Hochschulabsolventen, die Löhne und Gehälter weiter steigen lassen werden.“ Wer heute bereits in Indien ist bzw. hierher kommen will, der sollte folglich eine Gehaltsdynamik einplanen, die übliche Gehaltssteigerungen in Deutschland übersteigt. Es handelt sich um einen Entwicklungsprozess, den zahlreiche Niedriglohnländer durchlaufen, wie beispielsweise China und osteuropäische Länder wie Tschechien oder Polen. Auch weil das Potential für Offshoring noch keineswegs ausgeschöpft ist, gibt es wenig Anlass anzunehmen, dass diese Gehaltsdynamik in der IT Industrie Indiens zum Stillstand kommt.
Gleichzeitig gilt aber, dass der Arbeitsmarkt reifer geworden ist: Gehaltssteigerungen um 20 oder 30 Prozent gehören der Vergangenheit an. Für 2016 liegt die Gehaltssteigerung in der IT Industrie Indiens bei 11 Prozent. Und der Softwaregigant Infosys hat für das Geschäftsjahr 2016/17 die durchschnittliche Gehaltssteigerung auf 6,5% begrenzt, was de facto nur einem Inflationsausgleich entspricht. Die Personalberatung Aon Hewitt diagnostiziert: “India is entering the era of the ‘new normal’ in salary increases”. Der Arbeitsmarkt in Indien sei reifer geworden und IT Unternehmen seien bei Gehaltsentscheidungen nun darauf bedacht, ihre Wettbewerbsposition im Asiatisch-Pazifischen Raum (APAC) zu verteidigen. Länder wie Vietnam, die Philippinen oder ehemalige Staaten der Sowjetunion sorgen für größeren Wettbewerb unter den Niedriglohnländern um IT Projekte.
Gleichzeitig sorgen Hunderttausende von indischen Absolventen im Ingenieurwesen für Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt (dies ein weiterer Grund für die niedrigen Einstiegsgehälter in Indien). Und der erfahrene Softwareentwickler Navin Kabra erklärt auf dem Forum Quora: „Note to students starting their career: If you plan on picking Computer Science because of easy jobs and good money, don’t. Those days are gone. Pick CS only if you like CS/programming.”
Hier noch eine Anmerkung zum durchschnittlichen Wachstum der Gehälter von 11 Prozent für das Geschäftsjahr 2016/17: Diese Zahl ist zu relativieren, und zwar aus zwei Gründen. Zum einen liegt die Inflation in Indien etwa bei 6 Prozent. Die reale Gehaltssteigerung liegt demnach bei 5 Prozent (wobei die reale Kostensteigerung für ein deutsches Unternehmen über 5 Prozent liegt, da sich der Wechselkurs nicht vollständig synchron zur Inflation verhält, sondern hinterherhinkt). Zum anderen ist die Gehaltsdynamik für IT Fachkräfte in den ersten Jahren außerordentlich hoch, da diese mit sehr niedrigen Einstiegsgehältern starten und die Produktivität außerordentlich stark zunimmt (Gehaltssteigerungen in den ersten Jahren der Karriere um 30% sind die Norm). Unternehmen mit einem hohen Anteil an jungen Entwicklern weisen darum nominal deutlich höhere Gehaltssteigerungsraten auf als Unternehmen mit mehr Senior Entwicklern.
Abschließende Betrachtung: Gehaltsentwicklung und Produktivität
Aus unternehmerischer Sicht sind grundsätzlich drei Aspekte für die Standortbewertung relevant, die sich aus den drei wesentlichen Zielgrößen von Management ableiten: Zeit, Kosten und Qualität. Eine isolierte Betrachtung der Gehaltstendenzen im Standort Indien ist mithin nicht aussagefähig. Die beiden anderen Aspekte bzw. diesbezügliche Tendenzen sind zumindest ansatzweise zu berücksichtigen, dazu – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – nachfolgend einige Fakten:
Das „Big Picture“ zeichnet das Autorenteam Neumann und Vermeer: „Indien besitzt den mit weitem Abstand größten Pool an englischsprachigen, sehr gut ausgebildeten IT-Fachkräften, und dies mit wachsendem Abstand zu anderen Nationen. Gleichzeitig haben indische Unternehmen ihre Qualitätsprozesse so verfeinert, dass es Firmen aus anderen Ländern schwer haben werden, dieses Niveau von Service und Qualität zu erreichen.“ Die Erfahrungen im Zusammenhang mit der Auftragsentwicklung für deutsche Softwarefirmen durch das IT Entwicklungszentrum der Categis Gruppe in Bangalore bestätigen dies.
Erfreulicherweise stellt die Personalberatung Aon Hewitt zudem einen Rückgang der Fluktuationsquote in der indischen IT Industrie fest, die im Vergleich zu anderen Ländern notorisch hoch liegt und die Arbeitsproduktivität senkt: Diese Rate hat mit 16,3 % den tiefsten Stand seit der Finanzkrise in 2009 erreicht.
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