Indien steht doch im Internet … Empfehlungen für Expats und Unternehmen

Wirtschaft

Andra RiemhoferGeschrieben von:

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Wer sich mit wenig Vorwissen und komplett selbstgesteuert in der Freizeit auf sein Entsendungsland vorbereitet, kann leicht der Illusion erliegen, es sei mit ein bisschen landeskundlichem Hintergrundwissen und ein paar Dos and Don‘ts getan. Das kann gut gehen – muss es aber nicht. Worauf Unternehmen bei der Entsendung Wert legen sollten.

Vor einigen Wochen bei einem Vortrag für Expats in München. Eine renommierte Wissenschaftlerin aus dem Bereich der Interkulturellen Kommunikation fragt zum Auftakt in die international zusammengesetzte Runde von etwa vierzig oder fünfzig Teilnehmern, wie sich die Zugereisten denn so auf die deutsche Kultur vorbereitet hätten. Erst mal kommen nur wenige und eher diffuse Antworten. Ein Expat meint, er sei alle paar Jahre an einem anderen Ort – da entwickle man eine gewisse Routine. Zustimmendes Gemurmel. Die Referentin gibt sich nicht zufrieden und bohrt nach, sinngemäß aber zielgruppengerecht in Englisch: „Wie bereiten Sie sich denn immer so vor?“ Diesmal melden sich gleich mehrere Expats selbstbewusst zu Wort. Die Antworten variieren kaum und konzentrieren sich auf zwei Stichpunkte: „Ins Internet schauen“ und „Freunde fragen“ oder wahlweise „Freunde von Freunden fragen“.

Nach was konkret man im Internet suche, und wie man an die Recherche herangehe – diese Fragen bleiben weitestgehend unbeantwortet. Auch der Erkenntnisgewinn zur konkreten Hilfestellung des persönlichen Netzwerks zu (inter-)kulturellen Fragestellungen ist eher zu vernachlässigen. Erhellend dagegen der Monolog eines Teilnehmers, der das Forum nutzt, um sich mal so richtig auszukotzen: Sein Freund – um nur ein konkretes Beispiel zu nennen – habe ihm nämlich gleich gesagt, dass die Deutschen alle so und so sind. Das Publikum ist eingestimmt, der Vortrag kann beginnen.

Mir gab das Event noch lange zu denken, und ein bisschen fühlte ich mich an einen Botschaftsabend in Delhi vor etwa 15 Jahren erinnert. Frustrierte Expats schienen sich damals mit ihren geringschätzenden Einsichten zu einem schmutzigen und chaotischen Indien übertrumpfen zu wollen. Eindringlich wurde ich gewarnt, mich ja nicht übervorteilen zu lassen, besser gleich gar nicht vor die Tür zu gehen, und die Fenster immer fest verschlossen zu halten – wegen dem ganzen Dreck und überhaupt. Die Beweisführung wieder ähnlich. Selber schuld, wem Unbill widerfährt, man war ja vorgewarnt, und hätte man doch besser auf die Freunde und Freunde von Freunden gehört. Meine damalige „Überlebens-Strategie“, die Dinge so zu nehmen, wie sie sind, wurde mit einem „You must have a very strong stomach!“ quittiert.

Ich habe großen Respekt vor Menschen, die für ihre Arbeitgeber die Zelte (wiederholt) abbrechen und mit Sack und Pack gerne mal (gefühlt) ans andere Ende der Welt ziehen. Das kann für die eine Deutschland sein, für den anderen ist es vielleicht Indien. Was mich umtreibt ist die Frage, in welchem Maß und mit welchen Mitteln man diese Arbeitnehmer und ihre Familien unterstützen kann, sich in der neuen Heimat auf Zeit wohl zu fühlen. Und – aus Unternehmenssicht sicher die relevantere Sache – produktiv und erfolgreich arbeiten zu können.

Es bleibt natürlich jedem unbenommen, sich erst mal eigenständig mit der jeweiligen Zielkultur auseinanderzusetzen. Nichtsdestotrotz sehe ich Firmen in der Verantwortung, proaktiv und nicht nur punktuell professionelle Hilfestellung anzubieten.

Je nach Persönlichkeit und Erfahrung werden die Bedürfnisse variieren, Coaching oder Trainingsmaßnahmen sollten daher individuell abgestimmt sein. Wobei ich persönlich den Begriff „Training“ nicht mag. Training klingt für meine Ohren tendenziell nach Konditionierung (ich trainiere mir etwas an oder ab). Für sportliche Ambitionen oder Computer-Kurse mag der Begriff passend sein, für interkulturelle Fragestellungen suche ich noch nach einem gefälligeren Terminus. Kann man Indien trainieren? Vielleicht ein gewisses Durchhaltevermögen, das dann aber wohl erst vor Ort.

Zurück zu den Unternehmen: Organisationen sollten tendenziell einen Erfahrungs- oder Wissensvorsprung gegenüber einzelnen Mitarbeitern haben, was die Relevanz einer Vorbereitung auf eine andere Kultur angeht. Gerade weniger erfahrene Mitarbeiter sollten entsprechend sensibilisiert werden. Wer sich mit wenig Vorwissen und komplett selbstgesteuert in der Freizeit auf sein Entsendungsland vorbereitet, kann leicht der Illusion erliegen, es sei mit ein bisschen landeskundlichem Hintergrundwissen und ein paar Dos and Don‘ts getan. Oder er wird sich von vorne herein auf Tipps und Tricks aus dem Internet und die individuellen Sichtweisen aus dem Freundes- und Bekanntenkreis verlassen.

Interkulturelles Lernen bedeutet vor allem auch Selbstreflexion. Sich Gedanken darüber zu machen, aus welcher Perspektive man die Welt betrachtet, und warum einen Dinge auf die Palme bringen, die für andere ‚ganz normal‘ sind. „Das Bewusstsein für ‚interkulturelle Reibungen‘ (um eine erfahrene und gut vernetzte deutsche Führungskraft in Bangalore zu zitieren) ist bei vielen Firmen leider (noch) „erstaunlicherweise bisweilen sehr wenig ausgeprägt“.

Ein Landesexperte kann helfen, Impulse zu setzen und potenzielle Konfliktpunkte zu erkennen. Erwartungsbrüche und Missverständnisse sollen durch die Vermittlung von Wissensbeständen reduziert werden. Ein eintägiges Seminar mag da immerhin ein Anfang sein… Fachleute können zudem helfen herauszuarbeiten, welche Werte für den einzelnen Mitarbeiter handlungsweisend sind, und welche Stile sich im Verhalten zeigen. Das Handlungsrepertoire des (zukünftigen) Expat wird erweitert und vielleicht sogar die Perspektive für interkulturelle Synergien geöffnet. Serien-Expats verfügen sicher über viel Erfahrungswissen und ein Bündel an Handlungsstrategien, es ist jedoch nicht gesagt, dass es sich dabei immer um kultursensible und wirklich produktive Muster handelt.

Nicht zuletzt: Organisationen sollten gute Rahmenbedingungen schaffen. Dazu gehört, ein Verständnis dafür zu entwickeln, vor welchen Herausforderungen der Expat vor Ort steht, und was hier und dort „Standard“ ist. Schön, wenn der Expat in Mumbai oder Chennai sich die Mitgliedschaft in einem Club oder die Teilnahme an einem Sprachkurs nicht erst mühsam erkämpfen muss. Bei der Gelegenheit – die Anforderung „idealerweise Indisch-Kenntnisse“ sollten Personaler besser aus allen Stellenausschreibungen streichen. Damit werden sie bei geeigneten Bewerbern wenig punkten.

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