Indien ist traditionell ein sehr deutschfreundliches Land. Der potentielle Markt ist groß, die Lohnkosten sind niedrig und es gibt eine immer besser ausgebildete und damit kaufkräftige Mittelschicht. Aber es gelingt manchen mittelständischen Unternehmen nicht, nachhaltige Gewinne zu erzielen. Andererseits gibt es zahlreiche sehr profitable Unternehmen vor Ort. Was macht hier den Unterschied zwischen einem erfolgreichen und weniger erfolgreichen Engagement in Indien aus?
Indien ist traditionell ein sehr deutschfreundliches Land und die Regierung Modi hat es sich zum Ziel gesetzt, Investitionsanreize zu schaffen und Bürokratie abzubauen (was sicher kein leichtes Unterfangen wird). Trotzdem denken viele mittelständische Unternehmen mit gemischten Gefühlen an ein Engagement in Indien. Ja, der potentielle Markt ist groß, die Lohnkosten sind niedrig und es gibt eine immer besser ausgebildete und damit kaufkräftige Mittelschicht. Trotzdem, wer kennt nicht die Berichte über hygienische Verhältnisse, Armut und das tägliche Chaos welches dem Besucher schon direkt am Flughafen ins Gesicht schlägt. Darüber hinaus gelingt es vielen mittelständischen Unternehmen nicht, verlässliche Strukturen aufzubauen und nachhaltige Gewinne zu erzielen. Auf der anderen Seite gibt es genug indische Unternehmen, die hervorragende Gewinne erwirtschaften. Dies sowohl im lokalen Markt, aber auch international. Was macht den Unterschied zwischen einem erfolgreichen und weniger erfolgreichen Engagement in Indien aus?
Meiner Ansicht nach sind es falsche Erwartungen an „riesige Möglichkeiten“ schnelle Gewinne zu erwirtschaften, verbunden mit ebenso falschen Erwartungen ein Unternehmen mit den vertrauten und „erfolgreichen“ europäischen Strukturen aufbauen zu können. Eine Firma in Indien muss im indischen Kontext geführt werden um nachhaltig erfolgreich zu sein. Was bedeutet dabei indischer Kontext?
Besonders wichtig ist es hierbei, die richtigen Geschäftspartner, Berater und Mitarbeiter zu finden, sowie eine den lokalen Gegebenheiten angepasste Infrastruktur aufzubauen. Ebenso steht der Aufbau eines belastbaren Business-Netzwerks mit an oberster Stelle. Die indische Gesellschaft vertraut auch im Geschäftsleben mehr auf persönliche Beziehungen und Netzwerke als auf offizielle Strukturen. Deshalb wird nach meiner Erfahrung die Einbindung in ein lokales Netzwerk meistens deutlich unterschätzt. Das Management eines Unternehmens in Indien ist zu einem viel bedeutenderen Teil das Management von Mitarbeitern als in Deutschland.
Die niedrigeren Lohnkosten spiegeln sich auch in einer niedrigeren Produktivität wider. Dadurch hat man automatisch mit einer deutlich höheren Anzahl an Mitarbeitern zu tun, die geführt und in die Organisation eingebunden werden müssen. Dies alleine hat schon Auswirkungen auf die Anzahl der auszustattenden Arbeitsplätze, der IT-Infrastruktur sowie der Gebäude. Indische Mitarbeiter – vor allem Leistungsträger – sind bereit für nur wenig mehr Geld den Arbeitgeber zu wechseln (und dabei ganz selbstverständlich auch Informationen und Unterlagen mitzunehmen). Um der hohen Fluktuation einigermaßen zu begegnen, bedarf es dem Aufbau wettbewerbsfähiger Vergütungs- und Anreizsysteme. Auch hier wird man sich mit Systemen befassen müssen die in Deutschland eher unüblich sind, in Indien jedoch absolut auf der Tagesordnung stehen.
Weiterhin gibt es die generelle Erfahrung, dass indische Mitarbeiter wahre Meister darin sind, eine Arbeitsanweisung zu 100% zu befolgen und dabei zu einem diametral entgegengesetzten Ergebnis zu kommen. Dies erfordert den Aufbau von Regelwerken (Company Policies) die in Deutschland zu einem gewissen Unverständnis oder Schmunzeln führen würden, in Indien aber als „best practice“ gelten. Ebenso wichtig ist der Aufbau einer Hierarchiestruktur mit den entsprechenden Stellenbezeichnungen (job title). Diese Hierarchie zeigt den Mitarbeitern auf der einen Seite einen möglichen Karriereverlauf. Auf der anderen Seite hat jedoch der „richtige“ Titel einen bedeutenden Einfluss auf den sozialen Status im privaten Umfeld des Mitarbeiters. Es kommt immer wieder vor, dass Verlobungen seitens der Brautfamilie aufgelöst werden, weil sich herausstellt dass der Bräutigam nicht „Junior Manager“ sondern nur „Senior Executive“ ist.
Unterschätzt wird auch die Beziehung zwischen dem Management und den Mitarbeitern. Wo in Europa eine eher „professionelle“ Leistungsbeziehung mit vertraglich verankerten Rechten und Pflichten vorherrscht, findet man vor allem in großen Familienunternehmen in Indien eine soziale Beziehung mit gegenseitigen Erwartungen, die von außen nur sehr schwer verständlich sind. Diese sind jedoch für das soziale Verhältnis im Betrieb immens wichtig. Nicht immer gelten dabei die gleichen Vorstellungen und Werte wie in Deutschland. So ist es durchaus üblich, dass das Unternehmen dem Mitarbeiter einen Kredit für eine Operation eines nahen Angehörigen gibt, oder für die Ausrichtung der Hochzeit der Tochter – die schnell ein Jahresgehalt verschlingen kann. Auf der anderen Seite erwartet der Eigentümer Arbeitszeiten und eine Verfügbarkeit, wie man sie in Deutschland nicht kennt.
Es gibt noch viel mehr zu beachten, z.B. im Umgang mit Gewerkschaften, Behörden, sich widersprechenden behördlichen Vorschriften etc. die jedoch den Rahmen sprengen würden. Wer immer sich jedoch auf Indien einlässt, kann bedeutende Zukunftschancen nutzen, muss aber vor allem eines verstehen. In Indien braucht alles Zeit.
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