Deutschland hat eine Wirtschaftsstruktur, die bekanntermaßen vom Mittelstand geprägt ist; über 99 Prozent aller Unternehmen in Deutschland sind Kleine und Mittelständische Unternehmen (KMU), die mehr als die Hälfte aller Arbeitsplätze schaffen. Diese Struktur ist keineswegs typisch für Volkswirtschaften; in den USA etwa spielen Großunternehmen eine deutlich größere Rolle, dort erwirtschaften allein 20 Unternehmen (sic!) ein Viertel der gesamten Unternehmensgewinne des Landes.
Diese Konzentration wirtschaftlicher Relevanz bei wenigen Großunternehmen ist in Indien sogar besonders ausgeprägt. Laut einer Studie von Marcellus Investment Managers, einer in Mumbai ansässigen Firma, entfielen im vergangenen Jahr fast 70% der Gesamteinnahmen der Indischen Wirtschaft auf wenige Unternehmen, gegenüber 14% vor drei Jahrzehnten. In einer wachsenden Zahl von Produktkategorien – von Farben und Klebstoffen bis hin zu Keksen und Babynahrung – schöpfen Monopole oder Duopole 80% der Gewinne ab. Im Großen und Ganzen lassen sich die Top 20 von Marcullus in drei Gruppen einteilen.
Die erste enthält gut geführte Unternehmen mit einem starken Kapital- und Datenmanagement. Sie agieren in wachsenden Industrien wie Informationstechnologie (insbesondere Tata Consultancy Services und Infosys), das Finanzwesen (z.B. die HDFC-Bank) und die Konsumgüterindustrie (ITC, ein Zigarettenhersteller). Die Kapitalkosten dieser Unternehmen sind niedrig; die Bank HDFC kann sich billiger finanzieren als etwa die indische Regierung (Nota Bene: Die durchschnittlichen Kreditzinsen in Indien liegen bei 9,25%, dreimal so viel wie in den USA). Die IT-Beratungsfirmen sind faktisch schuldenfrei.
Unternehmen der zweiten Gruppe sind aus weniger verdienten Gründen ungewöhnlich lukrativ. Zum Teil handelt es sich um staatlich kontrollierte Unternehmen, die aus dem Sozialismus der Nehru-Ära nach der Unabhängigkeit hervorgegangen sind. Sie profitieren von billigen Krediten von staatseigenen Banken und unangefochtenen Monopolen (wie das von Coal India). Diese Gruppe schrumpft zwar – aber langsam: In den Top 20 von Marcellus befanden sich 2019 sieben staatseigene Unternehmen, gegenüber 13 im Jahr 2004.
Die dritte Gruppe enthält Unternehmen mit Charakteristiken beider vorgenannter Gruppen: Riesige Privatunternehmen mit mittelmäßigen Erträgen, die jedoch geschickt darin sind, in der Red Tape Bureaucracy Indiens ihre Pfründe zu sichern. Sie sind in stark regulierten Branchen tätig: Larsen & Toubro, ein Ingenieurskonzern, baut Straßen; Hindustan Zinc ist ein großer Bergbaukonzern. Ein schlagendes Beispiel ist außerdem Reliance Industries: Mit einem Reingewinn von 5,2 Mrd. US-Dollar in 2019 war das Unternehmen die profitabelste Firma Indiens – und trug 13% (sic!) zu den Unternehmensgewinnen des Landes bei. Das Konglomerat umfasst im Kern Raffineriebetriebe als auch den Mobilfunknetzbetreiber Jio. Das Unternehmen rangiert seit 1992 jedes Jahr (ohne Ausnahme) in den TOP 20 derjenigen Unternehmen, die die höchsten Gewinne einfahren.
Dieser Artikel basiert wesentlich auf dem Artikel Elephants in the room von The Economist, Ausgabe May 23rd-29th 2020