Die BJP und ihr politisches Programm des Hindu-Nationalismus: Eine Bestandsaufnahme

Gesellschaft, Kultur, Politik

Sebastian ZangGeschrieben von:

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Der Beginn des indischen Wirtschaftswunders fiel ins gleiche Jahr wie der politische Aufstieg von Narendra Modi, der seit 2014 Premierminister von Indien ist. Nämlich in das Jahr 1990. In diesem Jahr war Narendra Modi maßgeblich beteiligt an der Organisation eines religiösen Protestmarsches, der sogenannten Ram Rath Yatra. Dieser Protestmarsch erstreckte sich über den Zeitraum September bis Dezember 1990, er startete im Bundesstaat Gujarat und fand seine Abschluss in der Stadt Ayodhya im nordindischen Bundesstaat Uttar Pradesh. Dort stand eine Moschee, und zwar an einer Stelle, von der viele Hindus glauben, dass dort der Gott Ram geboren wurde. Ziel des Protests: Abriss der Moschee und Bau eines Tempels in Ayodhya.

Dieser Neubau eines Hindu-Tempels in Ayodhya war Teil des Programms der hindu-chauvinistischen Bharatiya Janata-Partei (BJP). Und Narendra Modi war dieser Partei just beigetreten. Diese Aktion verlieh der BJP einen enormen Aufschwung. Bei der nächsten Wahl verdoppelte sich ihr Stimmenanteil nahezu und machte sie zur größten Oppositionspartei.

Die Moschee in Ayodhya wurde nur wenige Jahre nach dem Protestmarsch zerstört (1992), nämlich als eine Kundgebung der BJP in einen Aufstand ausartete. Die Zerstörung löste im Übrigen eine landesweite Gewaltwelle aus, die über 2.000 Todesopfer forderte. Die Gerichte allerdings waren jahrzehntelang unschlüssig, was aus den Trümmern werden sollte. Und eben diese „offene Wunde“ verschaffte der BJP jahrzehntelang ein Wahlkampfthema, das die sektiererische Spannung ausnutzte.

Die Rolle von Narendra Modi beschleunigte seine politische Karriere deutlich, denn er verdiente sich damals durch seine Effizienz und Tatkraft die Bewunderung der Spitzenpolitiker der BJP. Im Jahr 2002 erreichte die sektiererische Spannung einen weiteren Höhepunkt: Ein Feuer in einem Zug in Gujarat tötete 59 Hindu-Pilger, die just aus Ayodhya zurückkehrten. Einheimische Muslime wurden der Brandstiftung beschuldigt und es kam zu Pogromen, bei denen mindestens 1 000 Menschen starben, die überwiegende Mehrheit von ihnen Muslime. Herr Modi war damals Ministerpräsident von Gujarat. Zwar sprachen die Gerichte Herrn Modi von der Mittäterschaft an den Gewalttaten frei, er wird allerdings seither von Hindu-Extremisten dafür gelobt, dass er die Muslime in ihre Schranken gewiesen hat.

Nun, am 5. August 2020 kehrte Herr Modi als Premierminister nach Ayodhya zurück. Er war dort, um den Grundstein für den Tempel zu legen, für den er und seine Partei seine ganze Karriere lang gekämpft haben und für den der Oberste Gerichtshof im November endlich den Weg freigemacht hatte. Herr Modi betete und sang in religiösem Gewand und einer medizinischen Gesichtsmaske. Mit dabei: Yogi Adityanath, ein hinduistischer Geistlicher, den die BJP vor einigen Jahren zum Ministerpräsidenten von Uttar Pradesh erhoben hatte. Ebenfalls dabei: Mohan Bhagwat, Chef der Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS), eine paramilitärische Hindu-Gruppe mit vielleicht 5 Millionen Mitgliedern. Dann half Modi dabei, einen 40 kg schweren Grundstein an seinen Platz zu manövrieren, bevor er erklärte: “Das Warten der Jahrhunderte hat ein Ende”. Den Vandalismus, der den Weg für den Bau des Tempels freigemacht hatte, erwähnte er nicht, geschweige denn, dass er ihn bedauerte.

Obwohl Indien offiziell eine säkulare Republik ist, war die Barriere zwischen Glauben und Staat nie streng gezogen. Der Staat hatte sogar den Bau eines Hindu-Tempels auf einem Gelände unterstützend begleitet, auf dem zuvor eine Moschee stand – und zwar in den 1950er Jahren in der Stadt Somnath in Gujarat. Doch die früheren Regierungen konzentrierten sich auch auf die Reform des Hinduismus, indem sie rückständige Praktiken wie die Diskriminierung aufgrund der Kastenzugehörigkeit ausmerzten. In diesem Sinne entschied der Oberste Gerichtshof 2018, dass es Frauen erlaubt sein muss, den Sabarimala-Tempel im südlichen Bundesstaat Kerala zu betreten.

Die BJP hingegen hat die Vorstellung propagiert, dass Hindus (ca. 80% der Bevölkerung) im modernen Indien benachteiligt sind, während Muslime (ca. 14% der Bevölkerung) zu gut wegkommen. Seit ihrem überwältigenden Wahlsieg der BJP im vergangenen Jahr hat sie die drei vermeintlichen Ungerechtigkeiten, für die sie am längsten und eindringlichsten gekämpft hat, zumindest teilweise rückgängig gemacht: Erstens, die Nichtehrung von Gott Ram an seinem Geburtsort Ayodhya. Zweitens, den verfassungsmäßigen Sonderstatus für den nordindischen Bundesstaat Jammu & Kaschmir, Indiens einzigem Staat mit muslimischer Mehrheit. Drittens, die unterschiedlichen Gesetze über Ehe und Erbschaft, die nur für Muslime gelten.

Zusammengefasst hatte die BJP diese drei Programmpunkte wie folgt erreicht. Erstens, die Grundsteinlegung für einen Hindu-Tempel in Ayodha. Zweitens, am 5. August 2019 Jahres hob die Regierung nicht nur die bescheidene Autonomie von Jammu & Kaschmir auf, sondern stufte sie auch von einem Staat zu einem Territorium herab und teilte sie im Gegenzug in zwei Teile. Und drittens, ebenfalls in 2019 hatte die BJP das Recht der muslimischen Männer, sich sofort und nach Lust und Laune von ihren Frauen scheiden zu lassen, aufgehoben und auch selbst ebendiesen Versuch zu einem Verbrechen gemacht.

Diese Schritte spiegeln zum Teil die politische Dominanz der BJP wider. Zum ersten Mal verfügt sie in beiden Kammern des Parlaments über eine Mehrheit und ist bei der Verabschiedung von Gesetzen nicht mehr auf weniger sektiererische Verbündete angewiesen. Aber die plötzliche Eile, die hinduistisch-nationalistischen Punkte auf ihrer Tagesordnung voranzutreiben, spiegelt auch die verminderte Chance wider, ihr anderes großes Wahlversprechen einzulösen: das Wirtschaftswachstum zu beschleunigen und Chancen zu verbreiten. Die Wachstumsrate verlangsamte sich bereits vor der Ankunft des Covid-19 Virus; der IWF prognostiziert nun, dass die Wirtschaft in diesem Jahr um 4,5% schrumpfen wird. Millionen werden in die Armut zurückfallen.

Es ist bemerkenswert, dass das hindu-nationalistische Programm in der Bevölkerung an Akzeptanzgrenzen stößt. Als die Regierung Ende 2019 Gesetze zur Staatsbürgerschaft zugunsten der Hindus (unter Benachteiligung von Muslimen) änderte, stieß sie auf überraschend große und anhaltende Proteste zugunsten der säkularen Prinzipien. Die Regierung selbst scheint sich unterdessen davor zu hüten, die Konfrontation mit China zu schüren, trotz der jüngsten Übergriffe an der chinesischen Grenze, die in der Öffentlichkeit Empörung hervorgerufen haben. Nachdem chinesische Truppen im Juni 20 indische Soldaten hoch oben im Himalaya zu Tode geprügelt hatten, dauerte es zwei Wochen, bis die Regierung von Herrn Modi Vergeltung übte. Die Reaktion bestand nur in einem Erlass, der eine Reihe von Smartphone-Apps verboten hatte (u.a. Tik Tok), die aus China kommen.

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Dieser Artikel nutzt als primäre Quelle den Artikel „Hindu nationalism. India Shrining” der Englischen Ausgabe von The Economist, August 8th 2020

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