Die Corona-Krise hat viele Länder gezwungen, den Schulunterricht binnen kürzester Zeit auf digitale Unterrichtsformen umzustellen. Kurz: Homeschooling ist angesagt. Deutschlands Schülerinnen und Schüler haben hier durchwachsene Erfahrungen gemacht, denn nicht jede Schule war hierauf vorbereitet und konnte sich darauf adäquat einstellen. Und wie ist diese Umstellung in Indien gelaufen? Wie gut gelang bzw. gelingt diese Umstellung in einem Land, wo noch große Teile der Bevölkerung im ländlichen Raum leben und eine schwach ausgebaute Infrastruktur haben?
Die Herausforderung des Lehreralltags beschreibt ein kurzes YouTube mit humorvollen Bildsequenzen: Der „digitale Lehrer“ möchte zunächst wissen, ob seine Schüler sich in Echtzeit vor dem Bildschirm befinden. Der Lehrer fordert die Schüler spontan auf, drei Mal die Nasenspitze anzutippen. Zwei der drei Schüler nicken wissend weiter … die zwei Schüler spielen offenbar eine aufgezeichnete Videoschleife ab. Das Video endet mit einem Blick in die Küche des Lehrers, wo dieser sein Gemüse schnippelt und selber ebenfalls ein voraufgenommenes Video mit den Schülern teilt. Das ist der Alltag in der „Digitalen Schule“.
Der Digitale Unterricht: Theorie und Praxis
Das Schuljahr beginnt generell im Juni und endet im März. Der Beginn der COVID-19 Infektion begann zum Ende des Schuljahres bzw. zu Beginn der Sommerferien. Damit hatten Schulen eine Vorlaufzeit zur Vorbereitung des „digitalen Unterrichts“. In den südindischen Bundesländern (Kerala, Tamil Nadu, Karnataka, etc.) hat die Schule inzwischen begonnen. Und tatsächlich gilt: Die Schulen haben ihre Hausaufgaben gemacht und die Zeit zur Vorbereitung des digitalen Unterrichts genutzt. Sehr überraschend und sehr lobenswert, zumal sonst Abweichungen vom Alltagstrott an bürokratischen Hürden scheitert.
Aber was nützt die beste Vorbereitung der Pädagogen, wenn ein Stromausfall die Internetverbindung lahmlegt? Eben diese Stromausfälle sind in Indien an der Tagesordnung, der Digitale Unterricht fällt dann ersatzlos aus. Es kommt hinzu: Nicht in jedem Haushalt gibt es einen Computer, um am Digitalen Unterricht teilzunehmen.
Homeschooling: Nicht nur per Internet …
Aufgrund der vorgenannten Herausforderung zur Beschulung der gesamten Schülerschaft (Stromausfälle, fehlende Ausstattung von Haushalten mit Computern) findet die Vermittlung von Lerninhalten über verschiedene Medien statt. Hierzu stelle ich einmal vor, wie Kerala dies angeht:
Audio-Message Sprachnachrichten über das Handy: Die Lehrerin bereitet ihren Stoff vor und spricht dieses als Audio-Nachricht in die WhatsApp-Gruppe der Studenten. Bei Videonachrichten wird mehr Datenvolumen verbraucht. Mit Sprachnachrichten hingegen ist es kostengünstiger für die Studenten, und der Text wird ihnen ebenfalls als Textdatei zur Verfügung gestellt.
Live Videoaufnahmen und Erklärung: Die Lehrerin oder der Lehrer nehmen sich beim Erklären des Stoffes einfach live auf und die Schüler sind aktiv dabei.
Der Fernseher ist die Schule: Eine interessante Variante ist die Entscheidung des Bundesstaates Kerala, den staatlichen Unterricht per Fernseher stattfinden zu lassen. Neue (Schul)Sender sind für alle Haushalte kostenlos erhältlich und bieten stundenweise verschiedene Unterrichtsstunden für Schüler aller Klassen. Der Unterricht via Fernseher war eine große Erleichterung für die Familien, somit gab es kein Problem mit dem Datenvolumen und die Eltern (zumeist die Mütter) konnten ihren haushälterischen Tätigkeiten nachgehen und dabei den Überblick darüber behalten, ob das Kind beim Unterricht teilnimmt.
Lernzentren: Eine Studie besagt, dass im Bundestaat 260.000 Kinder weder Zugang zum Internet noch Fernseher haben. Für diese wurden Lernzentren bewilligt, um in kleinen Gruppen unter COVID-19 Hygienebedingungen am Fernseh-Unterricht teilzunehmen.
Kreative Ansätze: Verschiedene kreative Ansätze kamen zum Einsatz, unter anderem Augmented Reality. Ergebnis: Spaßige und heitere Videounterrichtsformen. Ein Beispiel haben wir hier: Education in Kerala with Augmented Reality
Kurzes Überblick zum Bildungssystem in Indien
Zunächst einmal gilt: Es gibt nicht DAS indische Schulsystem. Es gibt ja auch nicht DIE indische Sprache, sondern eine Vielfalt von Sprachen in einem Land voller kultureller und ethnischer Diversität. Es gibt aber durchaus Gemeinsamkeiten über alle Bundesstaaten hinweg – in manchen Aspekten wiederum unterscheiden sich die Schulsysteme der Bundesstaaten (Anzahl: 36).
Eine Gemeinsamkeit: Das Schulsystem ist durchgehend vom 1. bis 12. Schuljahr. Für einfache Ausbildungen oder fachunspezifische Bewerbungen ist der Abschluss der 10. Klasse ausreichend. Eine Differenzierung in Haupt-, Realschule und Gymnasium gibt es nicht. Nach dem 12. Schuljahr kann man eine Ausbildung machen oder bewirbt sich für ein weiterführendes Studium. Hat ein Student etwa ein Bachelorstudium begonnen, so erhöht dies bereits seine Aussicht auf eine Anstellung – selbst wenn er/sie das Studium nicht abschließt.
Das Jahr ist – je nach Bundesstaat – in drei Trimester oder zwei Semester geteilt. Es gibt Zwischenprüfungen, außerdem eine Abschlussprüfung im März. In den höheren Unterrichtsklassen / Stufen ist der Monat Februar ausschließlich die Zeit für eine Revision des Lehrstoffes, zur Vorbereitung der Abschlussprüfung im März.
Schulalltag im hochalphabetisierten Bundesstaat Kerala
Hier mal ein Einblick in den Schulalltag im hochalphabetisierten Bundesstaat Kerala (Alphabetisierungsrate: 95%). Ich erinnere mich noch, wie wir Schüler uns nach den Sommerferien vor der riesigen Infotafel des Verwaltungsbüros versammelten um den eigenen Namen auf der Tafel zu finden. Steht der Name dort, bei den jeweiligen Klasseninfos – dann ist man durchgekommen. Jippie! Steht er dort nicht, ist es kein gutes Zeichen.
Meistens hat es einer in der Freundesgruppe geschafft, sich bei dem lauten Gewimmel von Schülern zur Anzeigetafel durchzudrängeln. Diese/r las dann halb laut und halb in Zeichensprache die Namen der Freundesgruppe vor. Danach saßen wir erschöpft von all der Spannung und erleichtert im Schulhof herum, bevor der Unterricht des neuen Schuljahres begann – dazu gehörte auch das Trösten der „Namenslosen“. So verlief es dann jedes Jahr bis zur 10. (das war in den Nuller Jahren – heute gibt es 12 Schuljahre). Die Resultate der 10.-Klässler waren nicht nur auf der Tafel, sondern wurden ebenfalls in der Zeitung veröffentlicht (heute online). P.S. anstatt man selbst, erfuhren also zuerst schon mal die Eltern die Ergebnisse morgens aus der Zeitung!
Sonderregelungen im Schulalltag wegen Covid 19
Dank COVID -19 durften alle Schüler von der 1. bis 8. Klasse (in manchen Bundesstaaten einschließlich der Schüler der 9. Klasse) unabhängig von der Leistung ins nächste Schuljahr vorrücken („all pass“). Fast alle Verwaltungsräte der verschiedenen Bundesstaaten Indiens habe diese oder ähnliche Maßnahmen für den Abschluss des Schuljahres übernommen. Eine Erleichterung für die jungen Schüler. In einem Schulleben, bei dem man einen großen Teil der Kindheit mit Hausaufgaben und Prüfungsvorbereitungen verbringt, bedeutet das eine enorme Erleichterung. Vergleiche dazu auch den Artikel: Wie gut ist das Schulsystem in Indien.
Ein weiterer Effekt von Covid 19: Die Schüler der 10ten Klassen haben ihre Prüfungen unter COVID-19 Hygienebedingungen etwas später geschrieben. Entweder waren es die großzügigen Prüfer oder die Schüler haben die längere Vorbereitungszeit wirklich zum Üben genutzt, wie auch immer – Die Ergebnisse waren fantastisch.
Referenzen:
– https://thelogicalindian.com/good-governance/kerala-students-attend-classes-21454
– https://www.thehindu.com/news/national/kerala/26-lakh-students-have-no-access-to-tv-or-internet/article31625850.ece
– https://scroll.in/article/960939/indian-education-cant-go-online-only-8-of-homes-with-school-children-have-computer-with-net-link
– https://thediplomat.com/2020/06/indias-education-system-feels-a-digital-divide-amid-the-pandemic/
– https://www.indiatoday.in/education-today/featurephilia/story/online-learning-the-much-awaited-reform-in-indian-education-system-1686669-2020-06-08
– https://www.theedupress.com/2020/04/education-news/school-education/cbse-advises-schools-to-promote-all-students-from-class-1-to-8/